Kultur

Thomas Schmauser versteht es perfekt, Elfriede Jelineks vielschichtige Textkunst auf die Bühne zu bringen. (Foto: Maurice Korbel)

03.05.2024

Grotesker Weltuntergang

Thomas Schmauser brilliert in der Uraufführung von Elfriede Jelineks „Asche“ an den Münchner Kammerspielen

Sie ist eine Spezialistin für Apokalyptisches. Wenn Elfriede Jelinek den Weltuntergang zelebriert, schöpft sie aus dem Vollen. Als Österreicherin schwärt in ihr ein Hang zum Morbiden. So ist es nur folgerichtig, dass sie in ihrem neuen Stück Asche, uraufgeführt an den Münchner Kammerspielen, ausgiebig Gustav Mahler und dessen Lieder eines fahrenden Gesellen von 1884/85 zitiert. Für zusätzliche Betonung sorgt die Regie von Falk Richter.

Als österreichisch-böhmischer konvertierter Jude war Mahler in Wien faktisch ausgegrenzt. In seiner Musik ist stets morbider Weltschmerz hörbar. Die Lieder eines fahrenden Gesellen vermischen Eigendichtungen und Textpassagen aus Des Knaben Wunderhorn. In Asche wird vor allem eine Passage aus Die zwei blauen Augen von meinem Schatz ausgiebig zitiert: „Ich bin ausgegangen in stiller Nacht wohl über die dunkle Heide.“ Wie ein Leitmotiv – oder besser: Leidmotiv – zieht sich dieser Satz durch den knapp zweistündigen Abend: bald ergänzt um den Lindenbaum, der „seine Blüten über mich geschneit hat“ oder ein „glühend Messer in meiner Brust“. Aus Ging heut morgen übers Feld stammt wiederum die im Sonnenschein funkelnde Welt, und wenn die Liebste Hochzeit macht, geht das verschmähte, traurige Ich ins „dunkle Kämmerlein“.

Sprachliche Musikalität

Die große Sprachkunst von Elfriede Jelinek speist sich aus einer unerhörten Musikalität und vielschichtigen, kenntnisreichen Intertextualität. In Asche bilden diese Lieder von Mahler den perfekten Soundtrack für ein Stück, das die Welt final verabschiedet. Es ist der letzte, überaus persönliche Teil einer Trilogie, die die durch Menschenhand zerstörte Erde beerdigt – und mit ihr Jelineks Ehemann: Im September 2022 erlitt der Filmkomponist Gottfried Hüngsberg in München einen Sekundentod. Wie sehr das Jelinek traumatisiert hat, zeigt das neue Stück. Seit dem Verlust ihres Ehemanns fühlt sie sich wie eine fahrende, wurzel- und heimatlos schwebende Gesellin. Ein Schwanengesang ist das Ergebnis.

Für die Inszenierung von Richter, ein Experte für Jelinek, hat Katrin Hoffmann eine Bühne entworfen, die ähnlich bunt und etwas überladen ist wie die Kostüme von Andy Besuch. Aus einem riesigen Felsklotz qualmt es, bald ist ein zugemüllter Meeresstrand zu sehen. In einer Irrenanstalt finden sich Noch-Überlebende wieder, bis am Ende nur drei Überlebende der Apokalypse an der Rampe stehen.

Man mag eine Diskrepanz zwischen dem an sich reduzierten Text Jelineks und der reichhaltigen Bebilderung Richters monieren, aber das Ganze geht auf. Der Abend entwickelt nicht nur einen Sog, sondern auch einen ganz eigenen Charme. Wie Jelinek hat auch Richter ein besonderes Gespür für die Komik in der Tragik und die Tragik in der Komik. Es ist skurril, wie Bernardo Arias Porras in Badehose zwischen Müllbergen noch Lust verspürt, die pseudointellektuelle Sonnenanbeterin (Katharina Bach) anzubaggern und mit Worten zuzumüllen. In der Irrenanstalt agieren beide als Pflegepersonal, das emotionslos vertröstet.

Nicht minder bizarr sind die von Johanna Kappauf und Svetlana Belesova trocken rezipierten Texte. Als eine Art „Alter Ego“ von Jelinek geistert Ulrike Willenbacher durch die Szene, und drei große knallbunte, KI-gesteuerte Avatare in Vogelgestalt vollenden den grotesk-makabren Untergang.

Einer aber leistet Überragendes, nämlich Thomas Schmauser. Mit unerhörter Wandelbarkeit und rhythmisch markanter Diktion verlebendigt er zielgenau und wirkungsvoll das sprachliche Sein und Wollen Jelineks. (Marco Frei)

 

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